Donnerstag, 12. November 2009

Ungeklärte Verhältnisse im Fall Leuna

Die Financial Times Deutschland veröffentlichte am 9.11.09 diesen durchaus interessanten Artikel, doch ist er sehr milde formuliert und deutet nur die Ausmasse des größten Raubzuges der Menschheitsgeschichte an. Auch läßt sich ein derartiges Unternehmen nicht auf ein paar zwielichtige Einzelpersonen abwälzen; es sei denn, es soll weiterhin verschleiert werden. Ob der Ausdruck Schmiergeld passend gewählt ist, ist eine weitere berechtigte Frage. Der Ausdruck Anteil, also das Anteile ausgezahlt wurden, wäre weit treffender.


Die Affäre um den Bau der Raffinerie wurde nie richtig aufgeklärt. 20 Jahre nach dem Mauerfall kommt wieder Bewegung in den Schmiergeldskandal - und in andere unsaubere Geschäfte der Nachwendezeit. 
von Jens Brambusch (ftd)

Plötzlich ist er da. Ausgerechnet bei den diesjährigen Feierlichkeiten zum Tag der Deutschen Einheit in Saarbrücken. Dabei dürfte er gar nicht anwesend sein. Sein Name fehlt auf der Gästeliste. Die Staatskanzlei ist irritiert: "Ich mag mir nicht vorstellen, wie der da reingekommen ist", sagt eine Mitarbeiterin. "Wir kennen ihn, und wir haben ihn sicherlich nicht eingeladen." BKA-Beamte kontrollieren die beiden Eingänge, nur mit Einladung und Ausweis ist der Zugang zu dem Festakt möglich: Keine Maus hätte da unbemerkt hineinkommen dürfen. Schließlich sind Bundespräsident Horst Köhler, Kanzlerin Angela Merkel sowie viele Bundes- und Landespolitiker anwesend.
Doch er ist da. Irgendwie hat Dieter Holzer den Weg in die Mitte der illustren Gesellschaft geschafft. Jahrzehntelang gehörte der Geschäftsmann selbst dazu. Ein Lobbyist mit exzellenten Beziehungen in Politik und Wirtschaft. Dann erschüttert die Leuna-Affäre die Republik: Schmiergelder in Millionenhöhe sollen bei der Privatisierung von DDR-Unternehmen geflossen sein. Auch an deutsche Politiker und Parteien. Akten verschwinden spurlos aus dem Bundeskanzleramt. Der Skandal ist perfekt. Und mittendrin: Dieter Holzer. Der Untersuchungsausschuss des Bundestags sieht ihn als "Schlüsselfigur" der Affäre.
Auch 20 Jahre nach dem Mauerfall sind die größten Skandale der Nachwendezeit noch nicht aufgeklärt. Aber es kommt Bewegung in die Affären um den Ausverkauf der DDR. Mehrere Akteure, die sich abgesetzt hatten, sind kürzlich an die Bundesrepublik ausgeliefert worden. Es könnte noch mal spannend werden für die Glücksritter, die damals gen Osten zogen und als millionenschwere Raubritter zurückkamen.
Nach dem 9. November 1989 wittert eine Schar von Unternehmensberatern, Insolvenzverwaltern, Investoren, Anwälten und Wirtschaftsprüfern die Chance, aus der Abwicklung der Planwirtschaft ordentlich Kapital zu schlagen. Ihr Gebaren liegt irgendwo zwischen schlitzohrig, schamlos und kriminell. Der Bereich, in dem sie sich bewegen, ist ebenso grau wie die Straßenzüge in Bitterfeld. Sie weiden die marode DDR-Wirtschaft aus, schnappen sich die Filetstücke und liquidieren den Rest - subventioniert von der Treuhand. 38.000 Betriebe werden bis 1994 privatisiert. Nur fünf Prozent gehen an ostdeutsche Investoren.
"Nur in weniger als 100 Fällen ist das Treuhand-Management betrügerischen Manövern aufgesessen. Das sind ohne Frage 100 zu viel. Aber ich werde eher misstrauisch, dass es angeblich so wenige sind", zitiert der Journalist Michael Jürgs in seinem Buch "Die Treuhändler - wie Helden und Halunken die DDR verkauften" den Verwaltungsratsvorsitzenden der Treuhand Manfred Lennings.
Leuna wird zum Synonym für Korruption und Kumpanei. Der Politkrimi um die Chemiewerke beginnt als deutsch-französisches Prestigeprojekt: 1992 verpflichtet sich der Ölkonzern Elf Aquitaine, eine neue Raffinerie zu bauen. Im Gegenzug erhalten die Franzosen das Minol-Tankstellennetz. Subventionsgelder in Milliardenhöhe werden gezahlt. 256 Mio. Francs - umgerechnet knapp 40 Mio. Euro - fließen als Provisionen. Der Großteil davon landet bei Holzers liechtensteinischer Firma Delta International. Der Rest geht an den französischen Ex-Geheimdienstoffizier Pierre Léthier.
Holzer sagt, es habe sich um übliche Provisionszahlungen gehandelt. Die französische Justiz ist da anderer Meinung. Sie hat ihn wegen Beihilfe zur Veruntreuung zu einer Freiheitsstrafe von 15 Monaten und zur Zahlung von 1,5 Mio. Euro verurteilt. Holzer tritt sie im März 2009 in der Jugendvollzugsanstalt Neunkirchen im Saarland an. Als Freigänger. Auch am 3. Oktober, als Holzer bei der Vereinigungsfeier auftaucht, muss er abends wieder auf seine Gefängnispritsche. Erst wenige Tage später, am 16. Oktober, wird der Rest seiner Haftstrafe zur Bewährung ausgesetzt.
"Ich habe ihn sofort erkannt", sagt Burkhard Hirsch. Dabei habe er Holzer persönlich nie zuvor getroffen. Da standen sie nun: Jäger und Gejagter im Leuna-Skandal. Ausgerechnet am Tag der Deutschen Einheit. Inmitten all der Prominenz. Eine skurrile Situation. Holzer geht auf Hirsch zu und stellt sich vor. "Wir haben ein paar Minuten geplaudert", sagt Hirsch. "Es war ein nettes Gespräch." Er lächelt süffisant.
Burkhard Hirsch - Bürgerrechtler, FDP-Politiker, Ex-Innenminister von Nordrhein-Westfalen, Bundestagsvizepräsident und schließlich Sonderermittler der Bundesregierung. Der heute 79-Jährige soll im Jahr 2000 das Rätsel um die verschwundenen Akten im Kanzleramt lösen, die unter dem Schlagwort "Bundeslöschtage" in die Geschichte eingegangen sind.

Nach dem Regierungswechsel 1998 war festgestellt worden, dass gleich reihenweise Akten fehlten - unter anderem die zum Verkauf von Fuchs-Spürpanzern an Saudi-Arabien und eben die über die Privatisierung der Leuna-Raffinerie. In beiden Fällen sollen Schmiergelder geflossen sein. Auch an Politiker. Die Spuren führen zu Holzer und dessen liechtensteinische Konten.
Kaum jemand hat sich intensiver mit dem Fall Leuna beschäftigt als Hirsch. Doch seine Erkenntnisse sind bis heute der Öffentlichkeit vorenthalten geblieben. "Ich musste eine Schweigepflichterklärung gegenüber dem Bundeskanzleramt abgeben", sagt Hirsch. "Daran halte ich mich." Man sieht ihm an, dass ihn das quält.
Als Sonderermittler wurde er von Unionsabgeordneten attackiert, Altbundeskanzler Helmut Kohl wollte ihn sogar anzeigen, Medien erfanden die Mär vom Kohl-Komplott und berichteten von Druck gegenüber Zeugen. Dabei gibt im Jahr 2001 sogar Ex-Elf-Aquitaine-Chef Loïk Le Floch-Prigent zu, bei dem Geschäft seien "afrikanische Methoden" nötig gewesen.
"Ich möchte das nicht noch einmal erleben", sagt Hirsch heute. "Das war eine unangenehme Aufgabe." Immerhin war seine eigene Partei, als die Leuna-Akten verschwanden, mit in der Regierung. Doch das stört ihn nicht, als der neue Kanzleramtsminister Frank-Walter Steinmeier, ihn 1999 fragt, ob er die Ermittlungen leiten wolle. "Das Kanzleramt ist ja keine Pommesbude. Da darf so etwas nicht passieren", sagt Hirsch. "Nicht in einem Rechtsstaat!" Doch das Rätsel der verschwundenen Akten bleibt ungelöst. Die Staatsanwaltschaft nimmt 2001 zwar Ermittlungen auf, stellt sie wenige Monate später aber wieder ein.
Die Auslieferung des Waffenlobbyisten Karlheinz Schreiber aus Kanada könnte Licht in die Affäre bringen. Am 18. Januar beginnt der Prozess gegen den 75-Jährigen wegen Steuerhinterziehung und der Beihilfe zum Betrug in Augsburg. Er ist die zentrale Figur im undurchdringlichen Geflecht aus Korruption, Kumpanei und Parteienfilz. In Schreibers Netzwerk, in dem der CDU-Parteispendenskandal gesponnen wurde, tauchen dieselben Namen auf, die auch bei der Leuna-Affäre fallen - wie der ehemalige Verteidigungsstaatssekretär Ludwig-Holger Pfahls (CSU) oder Dieter Holzer.
Holzer gerät noch mehrmals in die Mühlen der Justiz. So wird er 2008 zu neun Monaten Haft auf Bewährung und 250.000 Euro Strafe verurteilt. Dem Urteil voraus gegangen war eine Absprache zwischen Gericht, Staatsanwaltschaft und Verteidigung. Holzer gesteht, dass er Ex-Staatssekretär Pfahls zur Flucht verholfen hat. Der hatte sich 1999 abgesetzt, als Vorwürfe der Bestechlichkeit und Steuerhinterziehung laut wurden. Im Juni 2004 wird er in Paris verhaftet.
Der Deal kommt allen gelegen. Denn nicht nur die Politik setzte jahrelang auf Holzer, auch der Bundesnachrichtendienst soll ihn unter dem Arbeitsnamen "Baumholder" geführt haben.
Doch 20 Jahre nach dem Mauerfall verspricht noch ein zweiter Fall Brisanz: Es geht um den ehemaligen Manager der Deutschen Babcock, Michael Rottmann. Nach 14 Jahren auf der Flucht wird ihm jetzt in Berlin der Prozess gemacht. Er soll Anfang der 90er-Jahre das Ostberliner Unternehmen Wärmeanlagenbau (WBB) für 2 Mio. D-Mark von der Treuhand gekauft und dann ausgeschlachtet haben. 1994 war WBB dann bankrott. 1225 Mitarbeiter ohne Job. Rottmann mutmaßlich um 150 Mio. D-Mark reicher - und verschwunden. Bis er in diesem Jahr von Großbritannien an Deutschland ausgeliefert wird.
Jetzt hat er angekündigt, noch unenttarnte Verantwortliche für einen der größten Betrugsfälle bei der Privatisierung zu benennen. Auf seinem Laptop hat er Material gesammelt - angeblich genug, um damit 30 Aktenordner zu füllen.
Für Hirsch wäre es eine Genugtuung, wenn noch einmal Bewegung in die alten Fälle käme. Auch wenn er sagt, dass es für ihn nebensächlich sei, ob jemand juristisch überführt würde. "Die Bewältigung der Wiedervereinigung interessiert mich", sagt er. "Da waren wir nicht besonders gut - vor allem nicht der Kanzler der Einheit."

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