Sonntag, 3. April 2011

Antisemitismus und Semitismus im niederländischen Fußball?

Wer nicht springt
Die Fans der Gegner der »Superjuden« von Ajax Amsterdam bedienen sich bizarrer antisemitischer Fangesänge
Von Gerrit Hoekman (jungeWelt)
Ajax-Fans mit frisch polierter Glatze auf dem Weg ins Stadion, Foto: dpa
Die Szene macht beklommen: Das Vereinsheim ist aus dem Häuschen, denn die eigene Mannschaft, ADO Den Haag, fünfter der niederländischen Eredivisie, hat gerade das große Ajax Amsterdam mit 3:2 besiegt. »Hamas, Hamas, Joden aan’t gas!« brüllen die Fans. Publikumsliebling Lex Immers klettert auf die Theke, wo schon Trainer van den Brom und sein Assistent warten. Ein weiblicher Fan kommt auch noch hinzu, zieht das T-Shirt hoch und zeigt den johlenden Kerlen ihre nackte Brust. Immers schnappt sich ein Mikrofon und singt: »Wij gaan op Jodenjacht!« Der Saal kocht, alle stimmen ein.
Passiert ist das am letzten Spieltag, und weil Haager Fans das Ganze mit Handys aufgenommen und stolz ins Internet gestellt haben, hat der niederländische Fußball einen neuen Skandal und streitet darüber, ob es einen Unterschied zwischen Antisemitismus und Fanfolklore gibt. Hintergrund: Ligaweit hat Ajax Amsterdam den Beinamen »De Joden«. Weil ihr altes Stadion »De Meer«, in dem sie bis 1996 spielten, gleich neben einem jüdischen Viertel lag. Viele jüdische Fußballfans gingen deshalb zu Ajax. In den siebziger Jahren, als die Mannschaft um Johan Cruyff Europa dominierte, begannen gegnerische Fans, den Beinamen als Schimpfwort zu benutzen. Seitdem gehören antisemitische Gesänge zu fast jedem Ajax-Auftritt in der Fremde. Besonders schlimm ist es in Rotterdam, Utrecht und Den Haag, wo von den Rängen manchmal sogar ein lautes Zischen zu hören ist – als ströme Gas aus.
Um den Attacken den Wind aus den Segeln zu nehmen, fingen die Amsterdamer Fans an, sich selbst Superjuden zu nennen. Ähnlich wie die Anhänger des Londoner Klubs Tottenham Hotspur. Nun entrollen sie vor wichtigen Heimspielen eine riesige israelische Fahne, lassen sich den Davidstern tätowieren, feuern ihre Mannschaft mit dem Ruf »Joden, Joden!« an und singen »Hey, ho, wer nicht springt, der ist kein Jude!« Ein bizarres Spektakel, denn nur noch eine verschwindende Minderheit unter den Fans sind Juden und meistens keiner der Spieler. Mit Religion oder Sympathie für Israel hat das herzlich wenig zu tun. Das Wort Joden ist ein Synonym geworden für Ajax, für die Fans eine Art Ehrenname.
Das finden längst nicht alle gut. »Ich habe in Utrecht in der VIP-Lounge neben Geschäftsleuten gestanden, die ›Hamas, Hamas, joden aan’t gas!‹ schrieen«, erzählt Uri Coronel gegenüber der niederländischen Presse. Der Vorsitzende von Ajax Amsterdam hat einen großen Teil seiner Familie während des Holocaust verloren und wünscht sich, daß der Spuk ein Ende hat: »In Rotterdam, auf dem Weg zum Stadion De Kuip, mußten wir durch ein Spalier von Feyenoord-Fans fahren, die uns den Hitler-Gruß zeigten. Ich kann nicht beschreiben, was in so einem Augenblick in mir vorgeht.« Coronel hat die eigenen Fans nun gebeten, keine jüdischen und israelischen Symbole mehr zu benutzen und sich nicht mehr Superjuden zu nennen. Die Ultras lehnen das allerdings als Eingriff in die Fankultur ab: »Wir sind stolz ›Juden‹ zu sein.«
Ohnehin ist fraglich, ob damit die antisemitischen Gesänge der Gegner ein Ende hätten. Der niederländische Fußballverband KNVB hat Lex Immers nun für vier Spiele gesperrt und eine hohe Geldstrafe verhängt. Der Mittelfeldspieler hat sich inzwischen entschuldigt: »Ich habe nur Ajax gemeint.« Lange Zeit nahmen die Niederländer kaum Notiz von dem, was in den Stadien passierte. Erst als Den Haager Anhänger die Frau von Rafael van der Vaart, Sylvie, während eines Spiels als »Hure aus Amsterdam« beschimpften, empörte sich die Öffentlichkeit. Damals legte der Fußballverband eine Liste von Beleidigungen vor, die dem Schiedsrichter das Recht gaben, ein Spiel abzubrechen. Doch vielen fehlt dazu offenbar der Mumm. Nur einmal machte ein Unparteiischer davon Gebrauch, als während einer Partie zwischen Den Haag und Eindhoven ein schwarzer Spieler mit Affengrunzen belegt wurde.
Ende Mai findet übrigens in Rotterdam das niederländische Pokalfinale statt. Ajax trifft auf Twente Enschede. Die Ultras aus Amsterdam haben sich dafür ein besonderes Plakat ausgedacht: Es zeigt zwei Bomber, die Davidsterne über die Skyline von Rotterdam abwerfen.

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