Montag, 19. November 2012

Ratingagenturen sind Enteignungsmaschinen

Karikatur: Kostas Koufogiorgos

Werner Rügemer hat ein aufschlußreiches Buch über Ratingagenturen geschrieben
Wer steckt hinter den Ratingagenturen? Sie behaupten, sie hätten eine unparteiische Wächterfunktion. Oder gehören sie nicht zur Gilde der Anlagebetrüger und Bankster? Sie sorgten jedenfalls immer wieder für heftige Verstimmungen zwischen den Vereinigten Staaten und der EU. Antworten gibt das bemerkenswerte Buch von Werner Rügemer »Ratingagenturen. Einblicke in die Kapitalmacht der Gegenwart«.
Als sie zu Beginn des 20. Jahrhunderts entstanden, spielten sie im Dschungel der schon damals von Abzockern, Hochstaplern und Defraudanten durchsetzten Bankbranche eine durchaus positive Rolle. Auf den undurchsichtigen Finanzmärkten prüften sie die angebotenen Schatzbriefe und die dahinter stehenden Unternehmen oder Staaten auf ihre Bonität. Schon bald wurde in den Statuten vieler Pensionsfonds gefordert, daß Gelder nur noch in Papiere investiert werden durften, die von den Ratingagenturen die beste Bewertung erhalten hatten. Die Agenturen hatten damals die strikte Auflage, selbst keine Finanzgeschäfte zu tätigen. Es war ihnen streng verboten, den Verkäufern von Wertpapieren gegen Bezahlung Bonitätsbescheinigungen auszustellen. Denn es lag auf der Hand, daß die Agenturen bei der anschließenden Bewertung der gleichen Papiere für die Käufer nicht mehr unvoreingenommen urteilen konnten. Diese und andere vernünftige Regeln sollten Betrug, Schiebung und Korruption verhindern. Sie alle wurden im Zuge der neoliberalen Deregulierung der US-Finanzbranche Mitte der 90er Jahre unter US-Präsident William Clinton als »rückständig« entsorgt.
 
Damit war der Weg für den modernen, hocheffizienten Finanzmarkt frei, der mit seinen »innovativen«, aber hochspekulativen »Finanzprodukten« das angeblich postindustrielle Zeitalter einläutete. Das war, wie in den letzten vier bis fünf Jahren fast jedem klargeworden sein dürfte, ausschließlich heiße Luft.
Bei der neoliberalen Transformation des Finanzwesens spielten die Ratingagenturen eine Schlüsselrolle, die von den bürgerlichen Medien entweder ignoriert oder verharmlost wird. Werner Rügemer belegt nun mit akribischer Genauigkeit die außerordentliche kriminelle Energie, mit der die Agenturen gemeinsam mit Hedgefonds, Großinvestoren und Bankstern die Bevölkerung ausplündern, sogar ganze Staaten abzocken und dabei traumhafte Profite einstreichen – auch in der Krise, bei fallenden Kursen.
Seit Beginn der Finanz-, Wirtschafts- und Euro-Krise werden die beiden marktbeherrschenden US-Ratingagenturen Standard and Poor’s (S&P) und Moody’s wegen ihrer schlechten Botschaften im aus den Fugen geratenen Euro-System für das politökonomische Debakel der Gemeinschaftswährung verantwortlich gemacht. Die Regierungen des alten Kontinents sprechen sich so von jeglicher Verantwortung für die wirtschaftliche und soziale Katastrophe frei, die insbesondere in den Randgebieten der Euro-Zone Millionen Menschen trifft. Ihre Forderung nach einer »Europäischen Ratingagentur« kündet von der Hoffnung, daß eine solche Einrichtung den EU-Bankstern entsprechende Gefälligkeitsgutachten ausstellen würde. In seinem sehr übersichtlich gehaltenen, sehr gut lesbaren 200-Seiten-Buch erklärt Rügemer die Eigentümerstruktur der großen Agenturen. Es handelt sich dabei um die größten Hedge- und Investmentfonds, die aus der hohen und dauerhaften Verschuldung von Unternehmen, Staaten und Konsumenten Gewinn ziehen. Die Agenturen sind Teil der gegenwärtigen Kapitalmacht. Als vermeintlich unabhängige und objektive Beobachter des Marktes helfen sie ihren Besitzern, ganze Volkswirtschaften zu enteignen. Dabei schrecken sie vor suggestiven Bonitätseinstufungen ebensowenig zurück wie vor der Inszenierung von Krisen.
(c) Rainer Rupp (jW)
Werner Rügemer - Rating-Agenturen: Einblicke in die Kapitalmacht der Gegenwart
 

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